Film als Nachhaltigkeit
MEER WERDEN – Ein Gespräch in Postkarten
Lieber Philipp,
dass wir uns ausgerechnet per Postkarte über dein Arbeiten zum Thema Wasser unterhalten wollen, finde ich auch deshalb so reizvoll, weil es ebenfalls eine Postkarte war – und zwar von unserem gemeinsamen Freund Tim – die mein Bewusstsein für den so banalen wie erschütternden Zusammenhang zwischen Wasser und Betriebswirtschaft öffnete. Es ist bestimmt 20 Jahre her, aber ich weiß noch, dass ich dieses Postkartenmotiv aus Marokko, ein Bild von traditionellen Wasserhändlern mit ihren allerhandlei Gefäßen am Gürtel fröhlich dreinblickend vor einem riesengroßen Coco Cola Billboard als unheimlich brutal und kalt empfand.
Du warst zu diesem Zeitpunkt längst weiter, hattest Wirtschaftswissenschaften studiert und wurdest dann ja sogar sozusagen zu Wasser und Wirtschaft promoviert.
Vielleicht warst und bist Du auch in der Hinsicht weiter, weil es Dir gelingt, Dich einem Thema gleichermaßen mit dem kalten Auge des Wissenschaftlers und dem unverdrossenen fast schelmischen Blick des Künstlers zuzuwenden. Ist da was dran?
Nahm Deine Filmarbeit virar mar/ meer werden mit Danilo [Caravalho] nicht auch einen wissenschaftlichen Ausgang?
Herzliche Grüße
Anne
Liebe Anne,
ob der wissenschaftliche Blick ein kalter ist, ist ein anderes Thema. Aber bei virar mar/meer werden ist es tatsächlich eine wirtschafts-wissenschaftliche Studie, die wir (Danilo Carvalho und ich) etwas zugespitzt haben und die einen Hintergrund des Films bildet. Diese Studie besagt, dass es sich in Teilen des norddeutschen Dithmarschen schon bald nicht mehr lohnen wird, dem Klimawandel-bedingten Anstieg des Meeresspiegels immer höhere Deiche entgegen zu setzen, weil die Kosten dafür die Erträge bei weitem übersteigen werden. Das ist sozusagen simpelste, wenn Du so willst ,kalte‘, betriebswirtschaftliche Logik. Und die lässt sich wiederum genauso simpel auch auf den Brasilianischen Sertão anwenden, wenn es darum geht, die Folgen der periodischen und durch den Klimawandel zunehmend verstärkten Dürren zu bekämpfen. Unter anderem darum drehte sich damals meine Doktorarbeit in Umweltökonomie. Und generell um Kosten und Nutzen und verschiedene Arten, das knappe Wasser gerecht zu verteilen und zu schützen. Aber genauso wie eine reine Kosten-Nutzen-Analyse natürlich nur ein Entscheidungskriterium unter vielen für eine nachhaltige Wasser- oder Umweltpolitik sein kann, beschäftigte uns so gesehen in diesem Film dann auch der Wert des Wassers auf einer wissenschaftlich weniger greifbaren, aber vielleicht umso existenzielleren Ebene:
Was ist der Wert der mythologischen Kraft des Wassers, wie sie sich in Religion und Philosophie spiegelt? Was ist mit dem ,metaphorischen Wasser‘ wie es in der Kunstgeschichte – als Quell des Lebens, Fluss in die Unterwelt, Kraft der Erneuerung, Medium der Erkenntnis und vieles, vieles mehr seit jeher auftaucht? Auch da geht es natürlich um unsere menschliche existenzielle Verbindung zur Natur – keine physisch oder ökonomisch existenzielle Verbindung. Vielleicht eher eine meta-physische?
Herzliche Grüße! Philipp
Lieber Philipp,
Danke für die vielen Einladungen zum Nachdenken. Ich versuche nun, von der Wissenschaft, über die Philosophie zur Kunst zu kommen und dabei bei deinen Arbeiten zum Wasser zu bleiben.
Wenn Du simple ökonomische Kosten-Nutzen-Analysen abgrenzt von anderen Weisen der Wissenschaft und Forschung, der Philosophie beispielsweise, bin ich natürlich sehr einverstanden. Mich interessiert ja besonders Walter Benjamin, explorative Philosophie also, die Methoden sucht, durch Verfremdung den Dingen selbst zum Ausdruck verhelfen. So etwas wie Metaphysik interessiert mich also als Disziplin überhaupt nicht und ich möchte Dir unterstellen, dass auch Dich in Deinen Filmen statt Metaphysik eher die Tatsachen interessieren, und zwar in Form von Geschichten, Traditionen und Mythologien oder Phänomenen. Sie sind ja nicht weniger Teil der Wirklichkeit, nur weil sie nicht, sagen wir mal, aus Holz oder Stein sind. Ich will mich nicht über die Maße am Wort Metaphysik aufhängen, zumal ich sicher bin, dass wir uns im Grunde einig sind. Aber es geht doch auch bei virar mar/meer werden eher um etwas eminent Politisches, denn um etwas wie auch immer Jenseitiges. Deine Filme machen die Tatsachen einer anderen Wahrnehmung zugänglich, indem Du sie in eine Form der Künstlichkeit überführst, montierst und konstellierst. „Kunst als Verfahren“ hat das mal ein russischer Theoretiker genannt.
Herzliche Grüße
Anne
PS: Das Motiv eines Kletterers am Wasserfalls kann ich mit diesem Verfahren deiner Kunst auch sehr gut zusammenbringen. In Deinem Film heißt es: „Steigst hinauf Du andersrum den Wasserfall, so lernst zu brechen Du der Zeit Verfall.“ Die Unterbrechung des Zeitlaufs, mithin des Laufs der Dinge, scheint mir, nämlich eine besondere Qualität des Verfahrens deiner Essayfilme zu sein, indem Sie ihr Material konstellieren, statt zu reihen. virar mar/meer werden ist insofern schlechthin das ins Werk gesetzte Dementi der temporalen Linearität.
Liebe Anne,
Ja, das hast Du mich erwischt – ,metaphysisch‘ ist natürlich der falsche Ausdruck. Du triffst es besser, um was es mir in meinen Filmen geht: in allen meinen Filmen – und Film ist ja eigentlich das lineare Medium an sich – versuche ich, die temporale Linearität zu überwinden. Und dadurch etwas zu schaffen, das – in dem Sinne meinte ich ,metaphysisch‘ – Zusammenhänge, Hintergründe, oder banal gesagt ,etwas Größeres‘ spürbar macht, das wir nicht mit – kalten – wissenschaftlichen Kriterien erklären können, aber vielleicht erahnen können, indem der Film oder die Kunst an sich, etwas mit uns macht‘, uns Denk-Anstöße gibt, Bewusstseinsräume eröffnet, uns als Betrachter bewegt, uns aktiv werden lässt. Und in diesem Sinne – wir reden ja im Film auch über Umweltprobleme – vielleicht überzeugender und nachhaltiger ist, als es z.B. ein Appell, etwas gegen den Klimawandel zu unternehmen, sein könnte
Und apropos Nachhaltigkeit und ,Unterbrechen des Laufs der Dinge‘, wie Du schreibst: Wenn – wovon wir ja im Film ausgehen – aufgrund des Klimawandels Dithmarschen bald in den Fluten untergeht und auf der anderen Seite der Welt der Sertão völlig vertrocknet – wenn man das Ende der Welt also als so unausweichlich hinnimmt – dann hat sich auch das mit der Nachhaltigkeit bald erledigt. Keine Umweltpolitik der Welt wird deren Untergang mehr abwenden können. Und dann ist, so gesehen, das einzig Nachhaltige – das Einzige, was bleibt – vielleicht die Erinnerung der Menschen an ihre untergegangene Welt. Und auch diese Erinnerung bleibt natürlich nur so lange existent, wie die entsprechenden Menschen noch da sind und sich an irgendwas erinnern können. Danach bleibt dann gar nichts mehr übrig.
Es sei denn, der Film bewahrte dieses Zeugnis der Landschaften Dithmarschens und des Sertãos auf, bevor diese in Sintflut untergehen oder komplett zur Wüste werden. Es sei denn der Film hielte die Bilder und Töne ihrer letzten Bewohner fest, bevor die Menschheit in diesen beiden Landstrichen (und in nicht allzu ferner Zukunft vermutlich auch anderswo) verschwunden ist. So gesehen wäre dann dieser Film an sich das Nachhaltige,
(Aber wer weiß schon, wie lange wiederum ein aus digitalen Daten bestehender Film haltbar ist…)
Dir wünsche ich ein langes Leben, wie man so schön sagt!
Dein Philipp